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    Kündigung wegen Tragens eines Kopftuches im Dienst
    hier: Offener Brief an die Kindergarten-Eltern


Den Eltern der Kindergartenkinder, die zum Teil mit Unverständnis, Empörung und Verärgerung - und einer kurzfristig angesetzten Demonstration - auf den Verlust einer beliebten Erzieherin reagierten, habe ich am 29. August 2002 einen offenen Brief geschrieben. Diesen Brief gebe ich hier vollständig wieder, da er die damaligen Überlegungen und Motive der Stadt für die Kündigung recht gut deutlich macht.

Bergkamen, 29.08.2002
Roland Schäfer, Bürgermeister

Offener Brief
an die Eltern der Kindergartenkinder
der städt. Tageseinrichtung für Kinder in Bergkamen-Overberge

Liebe Eltern,

die Stadt Bergkamen hat am Mittwoch dieser Woche der städtischen Mitarbeiterin Selma G., die als Erzieherin im Overberger Kindergarten arbeitete, die Kündigung ausgesprochen. Dieser Schritt ist keinem der Verantwortlichen der Stadt leicht gefallen.
Ihre Empörung über die Haltung der Stadt haben Sie am vergangenen Freitag bei Ihrer verständlicherweise emotionsgeladenen Demonstration sehr deutlich gemacht. Ich schreibe Ihnen diesen offenen Brief, da ich noch einmal den Versuch unternehmen möchte, Ihnen die Beweggründe der Stadt zu erläutern.

Seit 1994 war Frau G. bei der Stadt beschäftigt. Zunächst war sie als Praktikantin im Anerkennungsjahr tätig, danach arbeitete sie als Erzieherin zur Aushilfe in befristeten Arbeitsverhältnissen. Bis Ende letzten Jahres gab es an ihrer Tätigkeit und ihrem Erscheinungsbild nichts auszusetzen.
Anfang diesen Jahres erschien sie plötzlich mit islamischem Kopftuch zum Dienst, das sie auch während der Arbeitszeit in den geschlossenen Räumen des Kindergartens nicht ablegen wollte, auch wenn dort nur weibliche Mitarbeiterinnen und kleine Kinder anwesend waren. Zunächst wurde in verschiedenen Gesprächen versucht, ihr deutlich zu machen, warum ein solches Verhalten von Seiten der Stadt nicht akzeptiert wird. Frau G. beharrte unter Berufung auf ihre religiöse Überzeugung auf einer entsprechenden Kopfbedeckung. Der Hinweis auf die klare Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die für sie daraus folgenden Konsequenzen vermochte Frau G. nicht umzustimmen. Es folgten zwei Abmahnungen und schließlich die Kündigung.

Grund für die Kündigung ist der anhaltende Verstoß von Frau G. gegen die Neutralitätspflicht im öffentlichen Dienst.
Städtische Bedienstete können sich grundsätzlich in ihrer Freizeit kleiden und politisch oder religiös tätig sein, wie sie es für richtig halten. Während der Arbeitszeit gilt dies nicht. Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind verpflichtet, während ihrer Arbeit in ihrem Erscheinungsbild dem Gebot strikter Neutralität in weltanschaulicher oder religiöser Hinsicht zu genügen. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist "das Kopftuch" ein deutlich wahrnehmbarer Ausdruck einer bestimmten Religion, auch wenn die Trägerin keinerlei missionarische Absichten damit verfolgt, sondern die Kopfbedeckung nur aus eigener Glaubensüberzeugung trägt. Dabei ist nach Auffassung des Gerichts ebenso unerheblich, ob tatsächlich Beanstandungen oder Beschwerden über diese Art der Bekleidung geäußert werden.
Das Kopftuch von Frau G. - bzw. auch die ersatzweise getragene hutartige Kopfbedeckung - ist, wie sie selbst betont, Ausdruck ihres besonderen muslimischen Glaubens, und nicht nur ein bloßes Stück Stoff oder ein folkloristisch-modischer Schmuck.

Die Haltung und die Reaktion der Stadt wären übrigens identisch, wenn ein städtischer Mitarbeiter darauf beharren würde, während der Arbeitszeit z.B. ein Schild mit einem eindeutig christlichen Bekenntnis, ein Skinhead-Outfit oder gut sichtbar einen Sticker mit einer parteipolitischen Aussage zu tragen.
Bitte, liebe Eltern, überlegen Sie einmal, ob es nicht unabhängig von dem Sie bewegenden konkreten Einzelfall langfristig in Ihrem Interesse und dem Interesse Ihrer Kinder ist, auch weiterhin in einer Gesellschaft zu leben, in der die Bediensteten von Staat und Kommune in ihrem Auftreten sich neutral verhalten und nicht einseitig Partei für eine bestimmte Weltanschauung oder Religion ergreifen.

Hinzu kommt, dass die Vorstellung, Frauen müßten in der Öffentlichkeit ihr Kopfhaar komplett bedecken, nicht vom gesamten Islam vertreten wird. Diese Forderung wird nur von bestimmten islamischen Gruppen vorgebracht, die dem Spektrum konservativ-orthodox bis radikal-fundamentalistisch zuzurechnen sind. Dieser politische Hintergrund ist die Ursache, dass das Tragen des islamischen Kopftuches in der Türkei in staatlichen Einrichtungen verboten ist. Von den entsprechenden Gruppen in Deutschland gibt es bereits jetzt einen nicht unerheblichen Druck auf alle "nicht Kopftuch tragenden" muslimischen Frauen, sich ihren Bekleidungsvorstellungen zu unterwerfen.
In unserer Stadt leben viele türkisch stämmige Frauen, die sich selbst als gläubige Musliminnen betrachten, es aber strikt ablehnen, ein Kopftuch zu tragen. Das Kopftuch ist für sie ein Symbol einer männlich dominierten Gesellschaft, die die Unterordnung der Frau fordert. Kopftuch tragende Mitarbeiterinnen der Stadt wären ein Schlag ins Gesicht für all diese Frauen.

Von Ihnen, liebe Eltern, ist bei unserer Diskussion am 23.08. weiterhin die grundsätzliche Haltung der Stadt in Fragen von Toleranz, Integration und friedlichem Zusammenleben unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Frage gestellt worden. Lassen Sie mich dazu zunächst feststellen: Toleranz und Rücksichtnahme auf die Gefühle und Werte Andersdenkender dürfen keine Einbahnstraße sein. Und: Toleranz findet dort ihre Grenze, wo sie auf Menschen und Gruppen trifft, die Intoleranz und die Unterdrückung anderer Wertvorstellungen zum Ziele haben.
Leider gibt es in Bergkamen islamistische Organisationen, deren Zielsetzung mit den Ideen von Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau und anderen grundlegenden Wertvorstellungen unserer Kultur nicht im Einklang steht. Es ist der einstimmige Beschluss aller Fraktionen im Rat der Stadt Bergkamen, jegliche Art des Kontaktes oder der Zusammenarbeit mit diesen Gruppierungen abzulehnen. Dies betrifft aber nur eine Minderheit innerhalb der türkisch stämmigen Bevölkerung in Bergkamen.
Im Übrigen bestehen in unserer Stadt eine Fülle an öffentlichen Einrichtungen, Angeboten, Initiativen und Projekten, die die Integration und das friedliche Zusammenleben fördern wollen. Nach meiner Einschätzung wird auf diesem Gebiet in Bergkamen erheblich mehr geleistet als in vergleichbaren anderen Städten. Wenn Sie Interesse an diesem Thema haben, bin ich oder ein anderer Vertreter der Stadt gerne bereit, dies einmal ausführlich darzustellen.

Liebe Eltern, meine Teilnahme an Ihrer kurzfristig angesetzten Demonstration am 23.08. hat Ihnen gezeigt, dass ich bereit bin, mich Ihren Fragen und Ihrer Kritik zu stellen. Es wäre schön, wenn es möglich sein könnte, eine solche Diskussion noch einmal in einer etwas ruhigeren Atmosphäre zu führen. Ich bin dazu bereit.

Mit freundlichem Gruß
Ihr Bürgermeister
Roland Schäfer

Das war der offene Brief.
In der Zwischenzeit haben eine ganze Reihe von Kindergarten-Eltern offensichtlich ihre Auffassung geändert.


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